Die Wien wird, man höre und staune, als Wildwasser eingestuft. Kaum zu glauben, wenn man das Rinnsal an einem sonnigen Tag sieht. Im Normalfall fließen nämlich ungefähr 200 Liter Wasser pro Sekunde durch. Kommt es zu einem Gewitter und hat es davor länger geregnet, dann sind es auf einmal 450.000 Liter pro Sekunde, also über 2.200-mal mehr. Innerhalb von 10 Minuten kann der Pegel um einen Meter steigen. Und da wird es einem klar, dass es immer wieder zu Unfällen kommt, wo Baufahrzeuge, die an Renovierungsarbeiten beteiligt waren, weggespült werden, ohne dass die Fahrer noch das Fahrzeug in Sicherheit bringen können.
Die Wien fließt von den Wienerwaldseen (früher als Trinkwasserreservoir, heute als Rückhaltebecken genutzt) bis zum Donaukanal bei der Urania. Im Mittelalter gab es an den Seitenarmen des Flusses viele Mühlen. Aufgrund der ständigen Hochwassergefahr begann man Ende des 18. Jahrhunderts mit den ersten Regulierungsarbeiten und setzte dafür Sträflinge ein.
Die volle Regulierung mit den beiden Cholerakanälen rechts und links der Wien, die Kanalleitungen nach Simmering zusammenfassten, begann erst Ende des 19. Jahrhunderts, lange nach der Donauregulierung. Gerbereien, Färbereien, die Hütteldorfer Brauerei und chemische Fabriken hatten nämlich zu einer stinkenden Kloake geführt, die man nicht mehr über den Fluss entsorgen wollte. Die Sammelkanäle hatten jedoch noch als letzten Ausweg bei Hochwasser, Überläufe in die Wien.
Auch wurde das Flussbett im Bereich von Naschmarkt und Karlsplatz eingewölbt, um die Fläche oberhalb nutzen zu können. In den letzten Jahrzehnten gab es immer wieder neue Ideen zur restlichen Einhausung und Nutzung der Fläche darüber (z.B. als Autobahntrasse), es kam jedoch zu keiner Einigung. Im äußeren Bereich des Flusses wurde ein Radweg samt Warnanlagen errichtet, der die Benutzer bei Gefahr, zum sofortigen Verlassen des Flussbettes auffordert.
Ich habe vor ca. 25 Jahren eine Fackelführung mit Dudelsackklängen im überbauten Teil des Flusses samt den dazugehörigen Kanälen miterlebt. Peter Ryborz, der sich heute Peter van der Unterwelt nennt (www.unterwelt.at), hat das veranstaltet. Nachdem sich seine Führungen rasch herumgesprochen haben und bis zu 300 Leute pro Führung anmeldeten, wurde es ihm behördlich verboten. Heute führt die Gemeinde Wien durch den Untergrund und nennt es die „Dritte Mann“ Führung zu den Schauplätzen des Films von Orson Welles aus dem Jahr 1949. Startpunkt Karlsplatz gegenüber dem Cafe Museum, beim großen roten Kanalgitter. Übrigens war die Filmmusik von Anton Karas in den USA 11 Wochen lang die Nummer 1.
Ich zeige euch auf den nachfolgenden Bildern Ausstiegsmöglichkeiten aus dem Untergrund.
Über eines muss ich euch noch im Zusammenhang mit den Kanälen erzählen: Die Strotter. Das waren Leute, die sich durch die Kanäle robbten, um Knochenreste und Fettreste aufzusammeln. Die verkauften sie an die Seifenindustrie. Der Begriff strottern soll aussortieren bedeuten und eigentlich aus dem Bayrischen kommen, wird jedoch außerhalb Wiens kaum noch von jemand verstanden. Der letzte, der noch diesen „Beruf“ ausübte, wurde 1950 gesichtet.