Frühstück haben wir wie das gestrige Abendessen in einer großen Touristenjurte zu uns genommen. Man hat die Möglichkeit sich im Schneidersitz hinzusetzen oder auf einen Polster oder auf einen Schemel. Letzteres ist ein wenig bequemer.
Die Jurte steht unmittelbar neben dem Fluss, den wir gestern auf der Hängebrücke überquerten.
Heute sollen wir 370 km bewältigen. Ich werde daher ein wenig über die Jurten referieren, die uns durch das Tal des Honigs begleiten. (Das Tal heißt deswegen so, weil es sehr viele Bienenstöcke entlang der Straße gibt.)
Es kam immer wieder zu Fehden unter den Nomadenstämmen, bis sich ein Khan nicht anders zu helfen wusste, als den russischen Zaren um Hilfe zu bitten. 120 Jahre lang dauerte dann die „friedliche Eingemeindung“ ins russische Zarenreich. Der Zar brachte landlose russische Bauern in die fruchtbaren Gebiete Zentralasiens, die wiederum die umherziehenden Nomaden in Bedrängnis brachten. Das gipfelte später in der sowjetischen Politik von 1928 – 32 dazu, dass die Nomaden geächtet wurden.
Die Nomaden mussten ihren Familienbesitz in Kolchosen abgeben, das Umherziehen wurde bestraft. Viele flohen und Millionen verhungerten. Nomadismus wurde als Relikt einer mittelalterlichen Lebensweise gesehen. Der Fortschritt findet in Häusern, nicht in Jurten statt. Die Folge davon war, dass so gut wie keine Jurten mehr hergestellt wurden.
Nach dem Untergang der Sowjetunion begann dann ab 2005 die Auferstehung der Jurte durch zahlreiche Handwerker am Südufer des Yssyk-Köl. Damit gelang es eine alte Tradition zu bewahren, viele Arbeitsplätze zu schaffen und auch immer mehr Touristen anzulocken, die in einem Jurtendorf Urlaub machen wollten. Es kommt immer mehr dazu, dass Jurten auch nach Europa und Amerika exportiert werden.
Die Folge davon war, dass das Wissen um den Bau der Jurten als Alltagskultur ins immaterielle Welterbe der UNESCO aufgenommen wurde.
Wir fahren immer höher und kommen zum höchsten Punkt unserer Reise, einem Pass auf 3174 m Seehöhe. Es hat zwei Grad und leichtes Schneerieseln bei kaltem Wind.
Auch zwei ausgebrannte LKW´s schneit es langsam zu.
Wir fahren auf der anderen Seite des Gebirges wieder bergab. Überall finden wir Nomaden, die vorwiegend Pferdezucht betreiben. Bei einem von ihnen bleiben wir stehen und schauen uns ein wenig um.
Wir bekommen auch ein frisch herausgebackenes Brot zu essen und können Stutenmilch kosten.
Um Stuten melken zu können, werden sie zuerst zu ihrem angebundenen Fohlen geführt. Das Fohlen saugt an und dann wird das Fohlen vom Muttertier getrennt und der Hirte kann die Stute weiter melken.
Wir fahren weiter und unterhalten uns mit dem Guide über alle möglichen Themen, die uns einfallen. Zum Beispiel über das Pensionssystem, das ähnlich unserem funktioniert. Männer können mit 60 Jahren in Pension gehen, Frauen mit 55 bei einer mittleren Lebenserwartung von 68 Jahren für Männer und 72 Jahren für Frauen. Es gibt aber auch Ausnahmen bei den Pensionen. Den Grenzsoldaten zu China wird für ein Jahr Dienst drei Jahre für die Pension angerechnet. So gibt es bereits 35-jährige Pensionisten in Kirgistan. Das Leben in der Garnison an der Grenze ist aber auch alles andere als lustig, denn weit und breit gibt es keine Ortschaft oder sonstige Unterhaltung.
Auf die Frage, was unser Uni-Professor vom Einfluss von China und Russland hält, meint er, der eine sei ein Hund, der andere ein Köter. Wer was ist, können wir uns aussuchen. Danach sagt er, dass ihnen die Sowjetunion näher stehen würde als das benachbarte China, weil die Abhängigkeit auch viel größer sei. Rein schon aus der historischen Sicht. Die vielen Jahre in der UDSSR führten dazu, dass viele Russen im Land blieben und auch die Staatsbürgerschaft annahmen. Studieren an der Universität kann auch nur derjenige, der Russisch kann, weil keine kirgisischen Vorlesungen abgehalten werden. Alle Waffensysteme für das Heer stammen von Russland.
China hingegen baut beispielsweise Strassen, Tunnel, Häuser auf Kredit. Hilft also der Wirtschaft. Kann so ein Kredit nicht zurück gezahlt werden, so vergibt man gegen Schuldenerlass beispielsweise Schürfrechte an Minen oder vereinbart eine neue Grenzziehung zugunsten Chinas. Die Chinesen selbst sagen, dass sie die Straßen weniger für Kirgistan bauen, mehr für sich selbst um schnellere Transportwege zu haben.
Betreffend dem Ukraine-Krieg meint er, die Sanktionen der Europäer und Amerikaner seinen völlig wirkungslos, denn Kirgistan kann sanktionslos frei einkaufen in Kanada oder Amerika. Waffen, Autos, Halbleiter-Chips, Ersatzteile für Flugzeuge und vieles andere auch. Russen gründen eine Firma in Kirgistan, kaufen international ein und verkaufen die Waren weiter nach Russland.
Bei den Fahrten durch die Ortschaften fällt auf, dass in jedem Ort Kameras auf Masten montiert sind. Die dienen nicht nur als Section-Control, sondern haben auch eine Gesichtserkennung angeschlossen. Wer also glaubt, hier hinter den riesigen Bergen und Steppen vor Verfolgung sicher zu sein, der irrt. Auch viele internationale Haftbefehle führten dadurch schon zum Fahndungserfolg.
Bei einer Straßengabelung stehen viele Jurten, alle haben einen Verkaufsstand am Straßenrand. Es wird Honig in Gläsern und Käse in Kugelform verkauft. Bei einem dieser Stände versucht ein Mädchen ihr Glück beim Verkauf. Sie arbeitet bereits mit dem Handy und Google Translater, die Oma daneben hat einen vorsintflutlichen Taschenrechner. Soviel Mühe muss belohnt werden. Zwei Honiggläser werden erstanden.
Nach einigen Kilometern Fahrt auf einer Schotter-/Kieselpiste halten wir beim Koshonkul Mausoleum. Dieser Mann war ein Ringer mit der stattlichen Größe von 2,34 m, den jedes Kind in Kirgistan kennt. Er ist 1955 verstorben und war in der Gegend ein Kolchosenleiter, der sich mit den russischen Behörden auch gerne einmal anlegte, wenn er anderer Meinung war. Bis man ihn verhaftete und er eineinhalb Jahre absitzen musste. Danach war er ein gebrochener Mann.
Weiter geht´s bis wir neben einer Brücke, die alte Holzbrücke noch stehen sehen.
Nach einigen Kilometern schauen wir uns einen Friedhof an. Schaut sehr alt aus, ist aber in Verwendung. Grabpflege gibt es bei den Kirgisen nicht. Es gibt nur vereinzelt Grabsteine, eine Errungenschaft der Sowjets, die Bilder von den Verstorbenen zeigen.
Wir fahren stets bergab. An den Schotterpisten hat sich nichts geändert, außer der Größe der Schlaglöcher. Es gibt zumeist eine Fahrspur, die halbwegs befahrbar ist und auf der versuchen beide Seiten zu fahren. Wer die besseren Nerven hat, bleibt in der Spur, der andere weicht aus. Es geht durch den Chichkan Nationalpark mit seinen wunderbaren bunten Gesteinsformationen.
Nach gefühlten Ewigkeiten kommen wir nach 370 km Fahrt in Kotschkor, einer Kleinstadt an. Auf den Schotterpisten waren 25 – 60 km/h die Maximalgeschwindigkeit.
Das Internet ist eine Riesenenttäuschung. Ich bekomme nicht ein einziges Foto hochgeladen, bevor ich wieder rausgeworfen werde. Daher kommt der Bericht erst heute. Genau jetzt.
Danke f.d. vielen Infos. Ja, die politische Situation (Sanktionen betreffend) ist so eine eigene Sache. Mehr braucht man dazu sicher nicht zu sagen. Wir wissen ja was in dem Zusammenhang „überall“ gespielt wird.
Wie die Menschen in dieser Gegend leben …. das können wir uns kaum vorstellen. Erstaunlich sind daher Errungenschaften wie Handys, etc.
So eine Weite, die Einsamkeit, kaum bis gar kein Komfort, das können wir uns (bzw. unsere jungen
Leute vor allem) gar nicht vorstellen.
LG Elfi M.