Der ursprünglich vorgesehene heutige Jakobsweg würde direkt neben einer Autobahn, getrennt von dieser durch eine Betonwand, führen. Dieser Weg ist zwar kürzer und bei weitem flacher, doch auch zermürbend. Auch Hape Kerkeling hat bereits den Weg als gefährlich und nervig beschrieben. Wir beschließen daher den um zwei Stunden längeren und vor allem auch bedeutend steileren Weg zu gehen. Bezeichnenderweise heißt er „Camino Duro“, also der harte Weg.
Wir klettern den ersten Steilhang empor und blicken zurück auf Villafranca del Bierzo. Die ersten Sonnenstrahlen kommen zum Vorschein. Blickt man nach oben, so schaut man in eine Nebelsuppe.
Der große Vorteil ist, dass wir von der Autobahn und der Bundesstraße zwar noch immer das Rauschen hört, es aber ungemein angenehmer ist, als die Autobahn in drei Meter Abstand zu haben.
Endlich kommen wir am Grat des Berges an und wandern wieder flacher dahin.
Die Nebelsuppe beziehungsweise die Wolken in denen wir stecken, will sich nicht lichten. Nachdem wir den intensiven Hinweisen in Richtung einer Privatherberge nicht nachgehen wollen und weiterhin auf unsere App vertrauen, kämpfen wir uns eineinhalb Kilometer durchs Gelände auf kaum erkennbaren Pfaden. Doch wir kommen punktgenau dort an, wo der Weg wieder als solcher erkennbar ist.
Danach kommen wir in eine ganz spezielle Region, bevor es wieder steil bergab geht. Links und rechts stehen viele Edelkastanienbäume, die bewirtschaftet werden.
Die Wegweiser werden auch für die blinden Pilger wahrnehmbar gestaltet.
Wir kommen immer weiter hinunter und die Fernsicht wird auch wieder besser.
So können wir die Autobahn erkennen, die wir davor nur gehört haben. Wir gehen den Weg hinab bis ins Tal und dort entlang der wenig befahrenen Bundesstraße durch einige langgezogene kleine Ortschaften. Selbstverständlich besuchen wir eine Kirche.
Beim Anblick des Glockenturms kommt mir eine Geschichte in den Sinn, die wir gestern beim Abendessen von zwei Spaniern gehört haben:
Während des Francoregimes leerten sich viele kleine Ortschaften, weil die Menschen wegzogen, da sie sich vom kargen Boden in dieser Region nicht ernähren konnten. So kam es, dass nur eine alte Frau, die nicht wusste, wohin sie sollte, als Letzte in einem Ort zurück blieb. Die Guardia Civil hatte damals den Auftrag, Kirchenglocken abzuhängen und einzusammeln, damit sie für die Waffenproduktion eingeschmolzen werden konnten. Nachdem man der alten Frau das mitteilte und sagte, dass man mit Verstärkung wieder kommen werde, da so Glocken für zwei Beamte zu schwer sind, meinte die Frau: „Nur über meine Leiche.“
Kaum waren die beiden weg, sammelte die Alte Flusssteine und schleppte sie hinauf auf den Glockenturm. Als die Beamten zu zehnt wieder kamen, hatte sie sich bereits im Turm verschanzt und bewarf die Leute mit ihrem Steinvorrat. Das war der Guardia Civil dann doch zu viel und sie rückten unverrichteter Dinge wieder ab. Jahre danach wurde die Frau gefragt, warum sie sich so vehement gewehrt habe. Da meinte sie, dass die Glocken ihre einzige Möglichkeit waren, sich mit der Außenwelt in Verbindung zu setzen, sich bemerkbar zu machen, sollte sie krank werden oder ihr Gefahr drohen.
Das Positive des Tages: Die heutige Strecke war zwar anspruchsvoll aber auch schön und kurz. Sieben Pilgertage, teils mit „keuch“ und „ächz“, der heute ist ganz schnell vorbei, jetzt sind es nur mehr sechs.