Wir verlassen Hospital de Orbigo, wo in 14 Tagen wieder die Ritterspiele mit den Lanzenreitern beginnen.
Wir haben beschlossen einen Umweg über eine Alternativroute zu gehen und dafür die Schnellstraßen- und Autobahnnähe zu meiden.
Das wird sofort mit Ruhe belohnt. Außerdem schaut heute die Gegend ein wenig freundlicher aus. Hügeliges Gelände, kleinere Ortschaften und wieder kleinere Wälder ergeben ein angenehmeres Bild. Von Regen wieder einmal keine Spur. Keine Ahnung wie hier die Wettervorhersagen gewürfelt werden.
Uns ist es Recht. Sonne statt Gewitter. Wir kommen bei einer Erholungsoase vorbei, die von einem ehemaligen Pilger gegen Spenden betrieben wird. Er hat den Jakobsweg mit 19 Jahren begangen, daraufhin hier das Grundstück gekauft und mit seinem Laden begonnen. Heute ist er 33 und lebt offensichtlich zufrieden mit seiner Ideenumsetzung.
Zwischendurch ein Wegweiser mit Entfernungsangabe nach Santiago de Compostela. Die Angabe könnte sogar stimmen. Wir sind heute den zehntletzten Tag unterwegs. Das Ziel nimmt Gestalt an.
Von einem Hügel aus sehen wir Astorga, eine 10.000 Einwohner Stadt, die wir durchwandern werden.
Davor aber noch einen kräftigen Schluck Wasser.
Auch Eisenbahnschienen wollen überquert werden. Eine umständlichere Konstruktion habe ich auch noch nirgends gesehen.
Die Stadt hat auch eine Kathedrale und die steht am höchsten Punkt, wie könnte es anders sein. Zuerst aber noch bei den vielen anderen Kirchen und Kapellen vorbei. Wie viele Kirchen verträgt eigentlich eine Stadt?
Wir kommen zum Hauptplatz vor dem Rathaus, das in einem Palast aus dem 17. Jahrhundert untergebracht ist und genehmigen uns ein kühles Getränk bei einer Bar.
Die Rathausuhr hat auch ein Schlagwerk, bei dem zwei Figuren in der Tracht der Maragatos die Viertelstunden an der Glocke schlagen. Das besondere daran ist, dass man den Ursprung dieser Menschen, die im 19. Jahrhundert als Gemeinschaft auftraten, nicht wirklich kennt. Wahrscheinlich sind es Händler gewesen, die sich niedergelassen haben und ihre Bräuche weiter pflegten. Ein als fremd empfundener Brauch war die gemeinsame Entbindung und da finde ich doch gewisse Parallelen zur heutigen Geburtsvorbereitung. Der Mann soll gemeinsam mit seiner Frau geschrien und nach der Entbindung ihren Platz im Kindbett eingenommen haben. Man dachte, dass Frauen im Kindbett besonders schwach und verletzlich seien und bösen Geister schutzlos ausgeliefert wären. Der Mann schützte auf die Art seine Frau, indem er den Geistern vorgaukelte, er sei die geschwächte Wöchnerin.
Wir wandern weiter.
Um eine Ecke herum und wir stehen vor dem neugotischen Bischofspalast, den Antonio Gaudi 1889 zu bauen begonnen hatte.
Der Bischof, der ihm den Auftrag dazu gab, verstarb vier Jahre später. Der Bau, der zu diesem Zeitpunkt noch keinen zweiten Stock hatte wurde eingestellt, weil die drei nachfolgenden Bischöfe kein Interesse daran hatten und daher auch keine Mittel zur Verfügung stellten. Erst der vierte Bischof begann ab 1904 wieder Schwung in den Bau zu bringen. Er versuchte Gaudi wieder als Architekt zu gewinnen, doch dieser lehnte ab und so vollendete Ricardo Guereta das Gebäude 1914.
Der Bischof wurde kurz davor abberufen und die nächsten hatten wiederum kein Interesse an dem Bau. So blieb es leer, bis es 1936 als Militärhauptquartier und nach dem Bürgerkrieg als Museum Verwendung fand, was es auch noch heute ist.
Also weiter zur unmittelbar daneben stehenden Kathedrale Santa Maria aus dem 15. Jahrhundert, von der wir lautes Glockenläuten hören. Es ist halb zwölf und die Sonntagsmesse beginnt. Bei uns ist sie um die Zeit schon längst aus.
Jedenfalls dürfen wir die Kathedrale, die auch zum UNESCO Weltkulturerbe gehört, nicht als Besucher betreten, erst wieder ab 13.00. Das dauert uns allerdings zu lange, denn der vorhergesagte Gewitterregen steht noch als Damoklesschwert über uns.
Daher begnügen wir uns mit dem Pilgerstempel aus dem Kathedralen-Andenkenladen und verlassen das Gelände.
Ein Blick nach links…
…einer nach rechts…
…und ab geht´s wieder auf die Piste. Schade, denn wir sind gar nicht dazu gekommen, die Schokoladenköstlichkeiten, für die Astorga auch berühmt ist, zu testen. Nachdem der Boden rund um die Stadt wenig Ertrag einbrachte, man aber auf einer Handelsroute lag, kam man auf die Idee, mit Zucker und Kakao zu experimentieren und erfand Schokoladen in vielen Variationen. Mit der einsetzenden Industrialisierung waren die kleinen Handwerksbetriebe jedoch bald nicht mehr konkurrenzfähig.
Wir kommen den Bergen schön langsam wieder näher und auch die die Bauten verlieren ihr Westerngehabe und werden bunter, freundlicher. Wir sind der frohen Hoffnung, in den letzten Tagen wieder einen ansprechenden Jakobsweg vorzufinden, wie er in den Gegenden vor der Meseta war.
Wir legen einen Zahn zu, denn rechts hinter uns brauen sich die Gewitterwolken zusammen und der Donner ist auch schon zu hören. Wenn es sich vermeiden lässt, wollen wir nicht unbedingt auf den letzten Metern noch nass werden.
Gerade noch rechtzeitig haben wir es geschafft. Gleich, nachdem wir uns angemeldet haben, beginnt der Regen. Er ist zwar nur von kurzer Dauer, doch es hätte gereicht, dass wir alles eingeweicht hätten.
Das Positive des Tages: Mit der wechselnden Umgebung ist alles wieder gleich viel freundlicher geworden. Trotzdem: Zehn kleine Pilgertage die könnten uns erfreuen, einen haben wir hinter uns gebracht, jetzt sind es nur mehr neun.