Gestern war ich noch bei einem Friseur. Bart, Haare und Augenbrauen stutzen, beziehungsweise ausrasieren. Er Sprach Spanisch, ich mit den Händen. Nach 20 Sekunden war ihm klar, was ich wollte und nach weiteren 15 Minuten hatte ich zehn Euro bezahlt und wieder ein zivilisierteres Aussehen. Man sieht wieder einmal: Sprache ist vielfältig.
Um 6.45 stehen wir schon bei der Bar im Nebenhaus um ein Frühstück an. Als ob es einen Morgenappell gegeben hätte, sind bereits (oder kommen unmittelbar nach uns) die Pilger aus den umliegenden Hostels und Herbergen. Heute und in den nächsten zwei Tagen kommt die härteste Prüfung der Meseta auf uns zu: Kilometerlange trostlose Eintönigkeit. Zeit genug um in sich zu gehen und zu meditieren oder einfach stumpfsinnig Kilometer um Kilometer runter spulen.
Raus aus dem Zentrum und nach wenigen hundert Metern überqueren wir den Fluss Carrion…
…und gehen am Kloster San Zoilo vorbei.
Nach zwei Kreisverkehren geht’s los auf einer Schottertrasse entlang einer Bundesstraße. Hier gibt es wenigstens durch die Bäume am Wegesrand ein wenig Abwechslung. Ansonst verläuft der Weg schnurgerade durch die Landschaft.
Irgendwann biegt die Straße rechts weg und übrig bleibt die staubige Schottertrasse. Achtzehn Kilometer lang geht es so dahin, ohne einer Ortschaft oder irgend einem Highlight dazwischen. Zwei kleine Rastplätze gibt es, die auch einen Windschutz haben. Der wiederum wird von vielen Pilgern als Sichtschutz verwendet, um dahinter ihre Notdurft zu verrichten. Frankreich hat das schon gelernt und viele Toiletten aufgestellt, Spanien meint bisher ohne auszukommen. Dementsprechend kommt es insbesondere an solchen Plätzen, aber auch entlang des gesamten Weges zu Ansammlungen von Papiertaschentüchern und entsprechenden Häufchen in der Nähe. Dabei sollte sich bald einmal herumgesprochen haben, dass Papiertaschentücher fünf mal langsamer verrotten als Klopapier, von Feuchttüchern brauchen wir gar nicht reden. Bei den Massen an Pilgern ist es für den Einzelnen, der in so eine Notlage kommt auch nicht so einfach, unentdeckt sich hinter einen Busch zu hocken, wenn es weit und breit keinen gibt und die nächsten Wanderer in zwanzig Meter Abstand folgen.
Nun doch, eine Abwechslung auf dem Weg gibt es des Öfteren. Irgendwo wurden zwei bis drei Busladungen Italiener mit Fahrrädern ausgeladen, die bei dem Wind sich natürlich lauthals unterhalten müssen. Zu zweit oder bis zu viert nebeneinander fahren macht die Kommunikation leichter. Es wird daher ständig geklingelt und sie nehmen an, dass die Wanderpilger selbstverständlich den Radpilgern auszuweichen haben, damit sie in ihrer Spur geradeaus weiter fahren können. Hin und wieder bemüht sich einer davon und bringt ein „Buen Camino“ hervor, das ich meistens mit „Don Camillo“ beantworte.
Wir freuen uns schon auf Calzadilla de la Cueza, den ersten Ort nach der Schotterpiste zu erreichen, in der frohen Hoffnung eine kleine Sitzpause bei einem Getränk bekommen zu können. Gleich rechts am Ortseingang gibt es die einzige Bar des Ortes. Sie hat aber nur zwischen sechs und acht am Morgen und ab 18.00 Uhr am Abend offen. Ansonsten ist der Ort ausgestorben, alles dicht. Nicht einmal ein Hund bellt, geschweige denn ist außer den Pilgern ein Mensch zu sehen. Ich verstehe den Geschäftssinn der Leute nicht. Da kommt täglich eine Karawane halb verdursteter und leicht hungriger Pilger durch den Ort und niemand erbarmt sich (geschäftsmäßig) ihrer.
Der nächste Ort ist sechs bis sieben Kilometer entfernt. Das sind alles so Orte unter hundert Einwohner, die von der Landwirtschaft und der Zimmervermietung leben. Ich frage mich, welche Chancengleichheit ein Kind hat, sollte es in so einem Ort aufwachsen. Da gibt es immer nur 2-3 Kinder im Kindergarten- oder Volksschulalter. Die können nicht mal Fußball miteinander spielen, weil es am Platz und am Gegenüber mangelt. Von Klavierunterricht, Ballett oder sonstigen Möglichkeiten eines Stadtkindes ganz zu schweigen. Ich nehme an, dass sie irgendwo in die Schule gehen können, nur im konkreten Fall ist die auch 18 km entfernt. Da hat es ein Kind im Waldviertel noch einfacher Kontakt mit annähernd Gleichaltrigen zu bekommen.
Gut, wir kommen nach sieben Kilometern in Ledigos an. Siehe da, hier hängt man uns schon die Zielflagge raus. Drei Tische samt Bestuhlung stehen davor auf der Straße. Die beste Ehefrau von allen wäre schon bereit für ein „Cerveza“, aber es wird ein Kaffee, denn sonst schaffen wir den Rest der heutigen Etappe nicht mehr.
Fünf Kilometer haben wir noch vor uns. Es geht größtenteils über eine alte Römerstraße, die durch Schotteraufschüttung überdeckt wurde. Manchmal sieht man die alte Pflasterung darunter hervor scheinen.
Ein kleiner bunter Lichtblick am Wegesrand. Dann sehen wir plötzlich die ersten Sonnenkollektoren aufgestellt in der Meseta. Ich habe mich die letzten Tage immer gefragt, warum nur so viele Windräder montiert werden, aber keine Sonnenkollektoren. Auf den steinigen Feldern müsste das doch ein besseres Geschäft sein, als eine dürftige Getreideernte. Doch wahrscheinlich ist das eine zu große Investition für die Landwirte und das Grundstück einem Investor zu verkaufen, geht nach dem bäuerlichen Verständnis auch nicht.
Nur noch einen Bogen auf einem aufgelassenen Straßenstück und wir kommen zum Etappenziel Moratinos. Davor gibt es große Wegweiser, damit wir nur ja nicht am Ort vorbei laufen.
Unsere Herberge liegt am Ortsanfang. Vis á vis ist ein Hügel mit Eingängen, die wie Weinkeller ausschauen. Nach Rückfrage stellt sich heraus, dass das wirklich Bodegas sind. Ich frage mich nur, wo die dazugehörigen Weingärten sich befinden. Seit Tagen habe ich keinen Rebstock mehr gesehen. Wie auch immer. Wir sind für heute angekommen.
Das Positive des Tages: Die Meditierstrecke haben wir hinter uns gebracht ohne Fata Morganas zu sehen und wir haben nur mehr weniger als 400 Kilometer vor uns.
Hallo Ihr Beiden!
Jetzt, so kurz vorm Ziel darf man ja schon fragen …
Was habt Ihr denn als Nächstes geplant.
Ich bin sicher, da gibt es bereits etwas.
Natürlich zuerst einmal ausruhen, aber dann …
Walter, hast Du schon daran gedacht einen (Bilder)Vortrag zu machen.
Das interessiert sicher viele Eurer Freunde und Bekannten, die vielleicht auch nicht immer mitlesen konnten.
Auf jeden Fall eine gute „Weiterreise“ …
LG Elfi