Bevor ich mich dem heutigen Tag widme, muss ich noch vom gestrigen Abend berichten. Zum Abendessen um 19 Uhr versammelten wir uns (25 Pilger) im Speiseraum. Das Essen war sehr gut, wir saßen mit vielen bekannten Gesichtern der letzten Tage an einem Tisch. Wir kosteten baskisches Bier.
Es war ganz gut. Nach der Nachspeise wurde auf der Terrasse Kaffee und Tee gereicht. Der Herbergsbesitzer, der vor einer Woche übernommen hatte, ist Baske und brachte ein paar baskische Lieder samt seiner „Quetschn“ (kleinen Ziehharmonika). Dann noch ein paar Chansons von Charles Aznavour, wo 80% der Franzosen erstaunlicherweise textsicher mitsangen. Danach spielte er einen kleinen baskischen Walzer. Seine Frau forderte die beste Ehefrau von allen zum Tanzen auf, weil sie natürlich zwei Minuten nach unserem Einlangen genau wusste, dass wir aus Wien gekommen sind. Woher wohl?
Die beste Ehefrau von allen hat offensichtlich die Chance nützen wollen, dass ihre verborgenen Dancing-Star-Talente doch noch erkannt werden, hat offensichtlich Walzer mit Flamenco verwechselt, sprang auf, warf mir ihre Umhängegeldbörse zu, entledigte sich in Stripmanier ihres Sweaters, schwang ihre Hüften und dazu über Kopf den Sweater, ehe sie ihn gekonnt über den Tisch mir ins Gesicht warf. Das Blöde dabei war, dass sie ihr Handy darin noch eingesteckt hatte, was mir auch treffsicher mit der Kante auf die Lippen knallte.
Das störte sie jedoch keineswegs, mit der Herbergsinhaberin einen Ringelreihen aufs Parkett zu legen. Beide Lippen angeschwollen, die Unterlippe aufgeplatzt, saß ich da und sah aus wie Daisy Duck oder die Frauen, die sich Botox in die Lippen spritzen lassen. Die beste Ehefrau von allen meinte nur, ich sei wieder einmal ein Elefant und sie könne sich das die nächsten fünf Jahre anhören, obwohl sie sich doch schon entschuldigt habe.
Fünf Minuten später, als ich irgend etwas auf französisch radebrechte, besserte sie mich aus: „Du musst das mit SCH aussprechen.“ Ich glaube, ihr war nicht klar, dass ich die nächsten zwei Tage alles mit SCH aussprechen werde, das liegt am Lippenstyling.
Der heutige Tag ist angebrochen. Nach dem Frühstück haben wir noch die letzte Tagesetappe vor uns, die uns an den Fuß der Pyrenäen führt, nach Saint-Jean-Pied-de-Port. Wir überholen einige der vor uns gestarteten Pilger, darunter einen zirka 60-jährigen Schwarzen, der kurzärmelig aber dafür mit Handschuhen bekleidet ist.
Ich habe schon erzählt, dass im Baskenland alle Häuser weißen Verputz tragen und braune oder rote Fensterläden haben. Es gibt aber auch ein paar Querulanten, die anders sein wollen.
Ein anderer Pilger auf dem Jakobsweg, der es ein wenig leichter hat, als wir, denn er hat seine Last auf sechs Beine verteilt:
Manchmal ist die Pilgerei trotz Wanderstöcken ein Kreuz – oder diese werden zu einem gemacht.
In einer kleinen Ortschaft kommen wir vermeintlich an einer kleinen Kirche vorbei, doch wie sich herausstellte, wird hier höchstens der Bürgermeister in der Mäirie angebetet.
Ein kleines Chateau aber kein Lokal um etwas zu Trinken.
Wieder eine Kirche, die ausnahmsweise offen hat.
Das besondere an der Kirche ist, dass sie zwei Ränge wie im Theater hat. Einen Chor, ja, doch so etwas sehe ich auch zum ersten Mal in einer katholischen Kirche.
Plötzlich sehen wir sie kreisen. Ich vermute, dass das Bartgeier sind. Nicht zwei, drei Vögel, sondern mindestens 15 Stück kreisen in der Nähe von uns. Dr. Google könnte mir Recht geben, denn die Bartgeier kommen häufiger vor in den Pyrenäen. Ich hoffe sie wurden nur vom Geruch des Kuhmistes angelockt, den ein Bauer aufs Feld bringt, nicht von unseren Wanderausdünstungen.
Endlich finden wir ein Lokal, bei dem wir kalten Apfelsaft mit noch kälterem Wasser bekommen. Madame muss noch mal für kleine Damen und das bringt mich auf den Gedanken, euch davon zu erzählen, wie die Toilettensituation in Südfrankreich ausschaut: Hier wird nicht in Männlein und Weiblein unterschieden, sondern es gibt ein WC, Punkt. Niemand stößt sich daran, ob im Lokal oder in den Herbergen. Alle finden das normal. Sauberkeit der Anlage ist das einzige Kriterium. Wenn ich nur an die Diskussion von vor einem dreiviertel Jahr in Österreich denke, wo man allen Ernstes laut andachte, in den Schulen, neben Männlein und Weiblein ein drittes WC einzuführen. Mit einem „d“ für divers gekennzeichnet, für alle die sich weder dem einen noch dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen. Bei allem Respekt vor der LGBTQ…-Bewegung: Wenn es nur ein WC gibt, kann sich auch niemand ausgeschlossen fühlen.
In der Wiener Stadthalle und bei sonstigen Großveranstaltungen wird das in den Pausen bereits gelebt. Um den langen Schlangen vorm Damen-WC Abhilfe zu schaffen, gehen viele Frauen mit großem Selbstverständnis aufs Männer-WC. Niemand findet etwas dabei.
Gut, wieder zurück zu unserer Wanderung.
Durch das „Gate of St. James“ kommen wir in die Altstadt von Saint-Jean-Pied-de-Port. Auf der Hauptstraße liegt unsere heutige Wohnung für zwei Tage um Kraft zu tanken für den Aufstieg in die Pyrenäen.
Je weiter wir gehen, desto mehr nimmt der Trubel zu.
Die Wohnung ist super, mit Waschmaschine und Terrasse. Die beste Ehefrau von allen, macht sich auf den Weg, um die Stempel für unsere Pilgerausweise zu erhalten. Bald kommt sie strahlend zurück. Dank ihrer Französischkenntnisse hat sie sich an den lange Warteschlangen des Tourismusbüros vorbei geschlängelt und bei einem Schalter, der für französische Pilger offen war, kam sie sofort dran. Sie erfuhr auf diesem Wege, dass heuer viele Busse mit Japanern den Weg hierher finden, diese kein Französisch sprechen, dafür aber alles wissen wollen, den Stempel ergattern und wieder weiter zum nächsten Punkt fahren, nur um die Pilgerurkunde in Santiago de Compostela zu erhalten. Asiaten sind offenbar hier nicht sehr beliebt.
Das Positive des Tages: Wir sind an der letzten Station vor Spanien angelangt, haben Österreich, Deutschland, Schweiz und Frankreich hinter uns gebracht und sind sehr stolz darauf.
Griaß eich – ihr zwei!
Wiederum a herrliche Schilderung von dir lieber Walter vom gestrigen Abend. 👍😉 Kann mir meine liebe Freundin – „deine beste Ehefrau von allen“ so richtig lebhaft vorstellen beim Tanz mit eurer Gastgeberin 👍😆
Uund ja, da könnts zu Recht stolz sein auf eure reife Leistung. 👍😉 Genießt die nächsten zwei Tsge uund sammelts Kraft für die „Pyrenäen-Erzwingung“ 👍😆🥰
Schöönen, heutigen Abfend 🥰
Glg 🙋♀️🙋♀️🙋♀️ Dolly + Wolf
L. Walter!
Ich entschuldige mich gleich vorweg, denn ich musste wirklich lachen (hab Dich aber nicht ausgelacht) bei der Schilderung des „Sweaterwurfs mit Handy“.
Zu den Japanern würde mir auch so Einiges einfallen, aber ich lasse es besser.
Ruht Euch ein wenig aus, es wird (wieder) anstrengend.
Ich möchte zwischendurch auch wieder mal meine Bewunderung aussprechen.
Übrigens, ich habe sehr schönes, warmes Wetter „im Waldviertel“.
Nichts mit kalt.
Aber am Montag früh geht’s für mich ja wieder heimwärts.
LG Elfi M.
Wir sind auch sehr stolz auf euch! Sehr! :-*