In der Weihnachtsnacht des Jahres 1363 war der Pfarrer von St. Stefan unterwegs zu den Armen seiner Gemeinde und verteilte ein paar Kleinigkeiten und machte sich anschließend wieder auf den Weg zu seiner Wohnung. Er beschloss noch ein bisschen in der Chronik zu schmökern, wie er es gerne und oft tat. Diesmal aber entdeckte er eine Stelle im Buch, die ihm bisher noch nicht aufgefallen war. In dicken Buchstaben stand dort geschrieben: „Wen du in der Weihnachtsnacht im Stephansdom erblickst, angezogen mit einem Totenhemd, der stirbt, bevor das Jahr zu Ende geht.“ Mehrmals las er über diese Zeilen. Wer kann denn so etwas Abergläubisches in der Chronik festhalten?
Nachdenklich legte er das Buch aus der Hand und nickte ein. Plötzlich wurde er von einem wilden tobenden Sturm geweckt. Plötzlich legte sich der Wind und er merkte, dass es ganz still geworden war. Nur leise Geräusche drangen aus dem Stephansdom, so als würde drinnen eine Messe gefeiert werden. Ganz deutlich hörte er nun das Singen und Beten. Entsetzt musste er feststellen, dass der Dom auch von Innen beleuchtet war.
Der Pfarrer hielt es nicht mehr aus und er begab sich in den Dom. Er sperrte das Gotteshaus auf. Knarrend ging das Tor auf und er wunderte sich sehr. Der Dom war bis auf den letzten Platz besetzt. Alle waren gekommen, um diese Messe zu hören. Er erblickte Männer, Frauen, Kinder und auch Gesichter von Menschen, die er in diesem Jahr beerdigt hatte. Erschrocken beobachtete er, dass alle Menschen in der Kirche dasselbe graue Totenhemd trugen. Vor Entsetzten gelähmt musste er feststellen, dass er selbst es war, der vorne am Altar stand.
Nun erinnerte er sich wieder an den seltsamen Kommentar in der Stadtchronik. Die Turmuhr schlug eins, schlagartig waren alle Menschen aus der Kirche verschwunden und er fand sich im finsteren, totenstillen Dom wieder. Er verrichtete noch ein Gebet und dann begab er sich zurück in seine Dienstwohnung. Er konnte aber nicht einschlafen und so schrieb er alles, was er in dieser Nacht erlebte, in der Stadtchronik auf. Auch die Namen aller Personen, die er in dieser Nacht erkannt hatte.
Im folgenden Jahr wurde Wien von einer schlimmen Seuche heimgesucht, an der viele Menschen in sehr kurzer Zeit starben. Auch der Pfarrer Hohenberg erlag der Krankheit und mit ihm alle, die er in der Weihnachtsnacht bei der Totenmette gesehen hatte.