Zwischen der Freyung und dem Tiefen Graben, dort wo heute das Kunstforum (siehe Bild) steht, stand vor vielen Jahren ein Wirtshaus. Dort lebte der Wirt mit seinem Neffen und mit seiner alten Mutter.
Das Wirtshaus war ein beliebter Treffpunkt für Leute aus aller Herren Länder. An diesem Abend war unter anderem der Nürnberger Maler Augustin Hirschvogel unter den Gästen. Der Künstler erzählte viel von fremden Ländern und die anderen Gäste hörten ihm gespannt zu. Jede Menge Wein wurde dabei getrunken und der Wirtsneffe hatte viel zu tun. Dann aber betrat noch ein Gast die Wirtsstube. Er war ganz in schwarz gekleidet und trug einen Hut. Seine Augen funkelten und waren fast pechschwarz. Hirschvogel sprang auf und begrüßte den Neuankömmling: „Willkommen, Herr Doktor Faust.“
Langsam fassten sich auch die anderen Gäste, denn viel hatten die Wiener schon über die Zaubereien des Doktor Faust gehört. Der Dazugestoßene bestellte gleich einen Krug Wein. Der Neffe brachte ihn, verschüttete dabei aber einige Tropfen. Böse funkelte Dr. Faust den Buben an und sagte: „Verschütte nie wieder so kostbare Tropfen! Falls doch, dann fresse ich dich mit Haut und Haar!“ Der Neffe lachte kurz und ging. Doktor Faust trank den Krug in einem Zug aus. So etwas hatten die anderen noch nie gesehen. Doktor Faust bestellte sofort einen neuen Krug bei dem Buben, der ihn sogleich brachte. Er stellte aber den Krug so fest auf den Tisch, dass einiges ausschwappte und über den Tisch rann, denn er wollte nämlich sehen, wie das wohl gehen soll, einen Menschen zu fressen. Zornig sagte Faust: „Habe ich dir nicht gesagt, dass ich dich fresse, wenn du etwas verschüttest?“ „So tun sie es doch, wenn sie können“, antwortete der Neffe frech. Da öffnete Doktor Faust den Mund, und der Bub war verschwunden.
Die Zuschauer wurden plötzlich still. Doktor Faust bestellte erneut einen Krug Wein, doch der Wirt war starr vor Schreck. So nahm der Doktor einen Wasserkübel und trank ihn mit einem Zug leer. Da flehte der Wirt, er solle doch den Buben wieder zurückgeben. Da lachte der Doktor laut und meinte, er solle doch vor der Wirtshaustüre nachzusehen. Tatsächlich, da stand der Bub. Er war völlig nass und zitterte. Er betrat das Wirtshaus und alle lachten. Er aber schrie Doktor Faust an: „Ihr seid mit dem Teufel im Bunde!“ Faust lachte nur und unterhielt sich dann weiter mit seinen Tischgenossen.
Doch das Thema des Abends blieb der Teufel. Da hatte der Maler eine Idee. Er lief in die Küche, holte sich ein Stückchen Holzkohle und begann einen Teufel an der Wand zu skizzieren. Er hatte einen spitzen Hut mit drei langen Federn, einen wehenden Umhang, spitze Stiefel an und ein boshaftes Grinsen im Gesicht. Die Zuschauer waren begeistert. Auch Doktor Faust lachte anerkennend. „Den habt ihr gut getroffen. Ein halber Teufel ist das nur an der Wand. Ich will euch den ganzen zeigen!“ In diesem Moment wurde aus der Zeichnung Wirklichkeit und ein kleiner Teufel sprang von der Wand. Er trug einen blutroten Umhang, einen spitzen, grünen Hut mit drei blutroten Federn, ein hellrotes Wams mit ebensolchen spitzen Stiefeln. Nun bekam es jeder im Raum mit der Angst zu tun und sie rannten so schnell sie konnten, in Richtung Ausgang.
Der Vorfall sprach sich rasch in der Stadt herum. Viele Neugierige kamen und ließen sich die Geschichte erzählen. Hirschvogel malte noch einmal einen kleinen Teufel auf ein Blechschild, das dann vor der Türe aufgehängt wurde. Seit dem Tag hieß das Wirtshaus nur noch „Das Haus zum roten Mandl“. Der neue Teufel wurde zum Glück nicht wieder lebendig. Doktor Faust hatte Wien verlassen und wurde nicht wieder gesehen.