Die Bezeichnung Zentralfriedhof ist schon einmal falsch, denn er liegt am südöstlichen Stadtrand, etliche Kilometer vom Zentrum entfernt, was aber auch so beabsichtigt war. 1874 wurde der Friedhof eröffnet und bisher insgesamt sieben Mal erweitert. Über drei Millionen Tote liegen hier und somit ist es nach der Anzahl der Bestatteten, der Größte Europas. Nach der Fläche von 2,5 km² gesehen, ist er nach Hamburg und London, der Drittgrößte. Mit seinen vielen Ehrengräbern und Jugendstilbauten gehört er zu den Sehenswürdigkeiten Wiens.

1784 verfügte Joseph II. ein Reformpaket. Die Friedhöfe innerhalb des Linienwalls (dem heutigen Gürtel) mussten aufgelassen werden. Bestattungen sollten möglichst sparsam erfolgen. Mit Schachtgräbern (mehrere Tote in einem Grab) oder den wiederverwendbaren Klappsärgen, stieß er auf keine breite Zustimmung. Zu unseren Zeiten hatte Udo Proksch eine ähnliche Idee. Er wollte Tote in Kunststoffröhren senkrecht begraben.

Aber wieder zurück zu den Anfängen des Zentralfriedhofs. Er war zunächst äußerst unbeliebt, denn er wirkte trostlos, weil damals noch ohne Vegetation. Die Bauten waren nicht vorhanden und vor allem, es gab keine Bahnverbindung. Besucher brauchten über eine Stunde, um vom Rennweg dorthin zu kommen. Also versuchte man Abhilfe zu schaffen, beispielsweise durch den Bau der im Jugendstil gehaltenen Friedhofskirche, die dem Heiligen Karl Borromäus geweiht wurde. Man errichtete Ehrengräber, indem man berühmte Persönlichkeiten wie Beethoven oder Schubert auf den ursprünglichen Friedhöfen exhumierte und am Zentralfriedhof wieder bestattete. Und man errichtete eine Pferdebahn, die von der Ringstraße zum Zentralfriedhof führte.

Doch die Simmeringer Bevölkerung war zunehmend unzufrieden, denn hunderte Tote wurden pro Woche per Pferdewagen zum Friedhof gebracht. Im Sommer war das bei manchen schon ein Geruchsproblem, im Winter konnten die Gespanne bei Schnee stecken bleiben. Außerdem schlägt es einem schon aufs Gemüt jeden Tag mehrere Kondukte auf der Simmeringer Hauptstraße durchziehen zu sehen. Abhilfe tat Not. 1918 wurde eine Straßenbahn für Särge gebaut und eingesetzt. Eine eigene Linie führte in der Nacht von Lainz, von Steinhof, dem AKH und dem Anatomischen Institut nach Simmering, um die Leichen zu den Aufbahrungshallen zu bringen. Aber auch das fand kein breites Wohlwollen in der Bevölkerung.

Architekt Hudetz und Ing. Felbinger hatten die Idee, die Toten, ähnlich einer Rohrpost, pneumatisch in einem langen Tunnel zum Friedhof zu drücken. Das wurde aber nie umgesetzt. 1925 kamen erstmals LKW zum Einsatz.

Als Besucher fährt man heute bequem mit der Linie 71 zum Zentralfriedhof. Unter den Wienern hat sich ein eigener Ausdruck dafür etabliert, wenn jemand gestorben ist: Er hat den 71er genommen.

Die Sozialdemokraten bauten 1921 eine Feuerhalle zur Feuerbestattung. Die Kirche war jedoch strikt dagegen. Trotzdem ließen sich immer mehr Menschen einäschern. Erst 1964 erteilte der Vatikan seine offizielle Zustimmung zur Feuerbestattung. Das Krematorium und der Urnenhain sind gegenüber dem Tor 2 auf der anderen Straßenseite der Simmeringer Hauptstraße untergebracht. Gleich daneben gibt es seit einigen Jahren einen Tierfriedhof.

Während der NS-Zeit wurde der Zentralfriedhof teilweise verwüstet. Die jüdische Zeremonienhalle wurde gesprengt, Grabsteine umgeworfen und zerschlagen. Deserteure und Widerstandskämpfer wurden hingerichtet und in der Gruppe 40 in Schachtgräbern vergraben, ohne die Angehörigen zu informieren.

1945 kam es auf dem Friedhofsgelände zu heftigen Gefechten zwischen Deutschen Einheiten und der Roten Armee. 550 Bombentrichter wurden nach Kriegsende auf dem Areal gezählt. Auch die Kuppel der Borromäuskirche wurde durch eine Brandbombe vernichtet. Die Instandsetzungsarbeiten wurden unmittelbar nach Kriegsende wieder begonnen.

Seit je her wollte man es den Adeligen gleichtun, koste es was es wolle. „A scheene Leich“, ist nur dann schön, wenn möglichst viele Leute da sind und von einer aufwendigen Zeremonie, dem Sarg, dem Blumen- und Lichtermeer entsprechend beeindruckt sind. Entlang der Simmeringer Hauptstraße hat sich eine eigene Steinmetz- und Gärtnermeile entwickelt, um ihr Geschäft mit den Hinterbliebenen zu betreiben. Wobei die Grabpreise am Zentralfriedhof noch wesentlich billiger sind, als auf den kleineren, zentraleren Friedhöfen.

Der Friedhof darf gegen Gebühr auch mit dem Auto befahren werden. Seit 1971 gibt es einen eigenen Friedhofsbus (Linie 106) als eigene Rundlinie mit 19 Haltestellen. 60.000 Fahrgäste nutzen den Service pro Jahr.

Zu Allerheiligen ist Hochsaison. 300.000 Besucher werden an dem Tag gezählt.

Der Zentralfriedhof ist ein interkonfessioneller Friedhof. Neben Katholischen und Evangelischen, die den Hauptteil einnehmen, gibt es eine islamische (alte, neue und altägyptische) Abteilung, einen alten und einen neuen jüdischen Friedhof, Orthodoxe Abteilungen (russisch, griechisch, rumänisch…) einen buddhistischen und einen mormonischen Bereich.

Noch zu erwähnen ist, dass der Friedhof heute als Grüngürtel gilt. Man findet nicht nur Jogger auf den Wegen, sondern auch Eichhörnchen (bei den Wienern Hansi genannt) und zirka 20 Rehe. Turmfalken, Feldhamster, Dachse, Hasen, Marder und Frösche vervollständigen die Fauna. Bis Mitte der 1980er Jahre war der Friedhof sogar noch Jagdgebiet.

Es bleibt daher nur eines gemäß Wolfgang Ambros zu sagen: Es lebe der Zentralfriedhof.

Reh im Hintergrund
Massengrab für die Opfer des Ringtheaterbrandes
Russisch-Orthodoxe Kirche
Und ich dachte immer, im Diesseits sei das endgültig.

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