Da es mir sonnenklar ist, dass ich nicht wie bei einem „kurzen“ einmaligen Ereignis wie einem Marathon schlecht bis gar nicht vorbereitet in das Wagnis gehen kann, nahm ich mir vor zu trainieren. Einfach längere Strecken zu gehen. Hier kam mir wieder einmal meine Tochter Julia zuvor, die mich fragte, ob ich mit ihr nicht an einem Megamarsch teilnehmen möchte. In Wien, am 5.Oktober. 100 km in 24 Stunden. „Na klar, machen wir,“ war erst meine zweite Antwort. Zuerst meinte ich „nein“, weil ich mich insofern kenne, dass ich mich in sowas reinwerfe und dann nicht mehr aus kann, obwohl mir mein Verstand sagt, dass das idiotisch ist, als Untrainierter teil zu nehmen.

Ich habe ihr gesagt, dass sie Elfi, meine Frau einladen soll dazu. Gesagt, getan. Elfi hat sofort zugesagt, weil was sind schon 100 km. Man kann ja früher aufhören und ab 40 km bekommt man alle 20 km, falls man vorzeitig beendet, eine Urkunde über die bewältigte Distanz. Es dauerte nicht lange, da wurde ich breit geklopft, doch auch mit zu machen, bei diesem Teilfamilienevent. Gut, machte ich, denn ich kann ja die beiden nicht im Stich lassen. Außerdem reizte es mich schon irgendwie wieder einmal ans Limit zu gehen.

Der Tag kam, das schlechte Wetter auch. Ich hatte mir noch Komoot, eine WanderApp, runtergeladen und den Kurs eingehend studiert. Start 16.00 Donauinsel, dann Richtung Nordwesten über die Nase auf den Leopoldsberg, danach Kahlenberg, Hütteldorf, rund um den Lainzer Tiergarten Richtung Laaerberg zum Zentralfriedhof und bei dem Kraftwerk Freudenau über die Donau durch die Lobau nach Norden nach Hirschstetten bis zur Stadtgrenze, danach retour zur Wagramer Straße und letztendlich zum Ausgangspunkt. So der Plan.

Am Start waren wir wie die restlichen 800 Teilnehmer noch aufgedreht und guter Dinge. Die ersten Kilometer gingen schnell dahin. Auf den Leopoldsberg hinauf zeigten sich die ersten Einbrüche bei den Untrainierten, die es viel zu schnell angingen. Selbst versuchte ich es langsamer, denn die Erfahrung hatte ich schon hinter mir, dass man sich sehr schnell auspowert, wenn man zu ehrgeizig ist. Wir kamen oben an und ich muss sagen, ich war auch froh darüber diesen ersten von drei steilen Anstiegen geschafft zu haben, noch bei Dämmerlicht. Danach setzte immer stärker werdender Regen ein, der Wind pfiff über den Kamm der Berge und es wurde ungemütlich. Mir wurde auch schön langsam kalt, trotz der intensiven Bewegung. Tochter voraus, Ehefrau hinterher und bei mir bildete sich die erste Blase am rechten Fußballen.

Julia bekam auch eine Blase und behandelte diese mit einem Blasenpflaster. Ich nicht, denn das Ding tat ja noch nicht richtig weh und so ein wenig Schmerzen musss man schon aushalten können. Außerdem setze ich mich nicht irgendwo ins Nasse. Mittlerweile kam zur Feuchtigkeit auch die Dunkelheit dazu. Wir waren aber gut mit Stirnlampen ausgerüstet. Nachdem ich Elfi immer wieder antrieb, die einige Stopps einlegen wollte. Einmal um sicherheitshalber, weil da ein Klo ist, zu pinkeln, ein anderes Mal um in Ruhe eine Banane zu essen, das nächste Mal um…ja ich weiß nicht warum, wahrscheinlich um zu zeigen, dass sie das Tempo vor gibt, nicht ich. Das konnte ich so nicht akzeptieren und trieb zum weiter gehen an und wurde prompt von meiner charmanten Tochter mit dem Titel „Drillseargent Dad“ versehen.

Wir kämpften uns weiter durch die Nacht. Die Wege wurden immer glitschiger, bergauf mussten wir uns zeitweise an Sträuchern und Bäumen hochziehen und die WanderApp bestand zu allem Überdruss darauf: „Sie haben den Weg verlassen. Kehren sie um.“ Das Problem bestand nämlich darin, dass die Beschilderung zeitweise eine andere Routenführung anzeigte als die Route des downgeloadeten Rundkurses. Bei einem weiteren Steilanstieg war es dann soweit. Ein Schritt vor mit 5cm Belag an den Schuhsolen und einen halben Schritt zurückrutschen. Ich musste in die Hocke gehen und mich rücklings an einen Baum lehnen. Mein Kreislauf brach zusammen und ich hatte noch Glück, dass ich nicht in den Matsch kippte. Dazu die aufmunternden Worte vom Handy „…kehren sie um.“

Ich war kurz davor dem Rat zu folgen. Doch da kamen meine beiden Begleiterinnen dazwischen, die bei mir einen augenblicklichen medizinischen Befund einforderten und von zwei Seiten mit guten Ratschlägen über mich herfielen. Das war das ideale Doping. Nur um nicht länger diesem Stakkato an Verhörfragen und medizinischen Weisungen ausgesetzt zu sein, raffte ich mich auf und stapfte weiter.

Wir kamen letztendlich überein, bei der zweiten Verpflegungsstation nach 40,6 km aufzuhören (denn das war auch das Ziel, das wir uns ursprünglich gesetzt hatten). Ich bin mir sicher, dass die beiden aufhörten, weil sie mich auch zum Aufhören bewegen wollten. Genug getuschelt hätten sie nach meinem kurzzeitigen Energieeinbruch. Ich führe das alles aber natürlich nicht auf meine Kondition zurück, sondern auf die irreführende Wegbeschilderung und das miese Wetter.

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